Harmonie in Vielfalt --Ein Kommentar zu Xi Jinpings Deutschlandbesuch
2014/04/04
 

Von Prof. Yin Tongsheng / Beijing

Den Titel "Harmonie in Vielfalt" habe ich in Anlehnung an ein berühmtes Zitat von Konfuzius "Harmonisch, aber nicht gleich" (和而不同)gewählt, das als "in Eintracht miteinander leben, aber nicht blindlings einander folgen" interpretiert werden kann. Es soll dem deutschen Leser ein besseres Verständnis meines Kommentars zu Xi Jinpings Deutschlandbesuch verschaffen.

Vom 28.03.2014 bis 30.03.2014 stattete Xi Jinping Deutschland einen Staatsbesuch ab. Seit acht Jahren war dies der erste Besuch eines chinesischen Staatspräsidenten in Deutschland, der weltweite Aufmerksamkeit auf sich lenkt.

I. Harmonie in Vielfalt



Xi Jinpings Deutschlandbesuch wurde vor allem durch sein Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel gekrönt. Als stellvertretender Staatspräsident hat Xi Jinping Angela Merkel, die damals bereits Bundeskanzlerin war, kennengelernt und ist seitdem mit ihr befreundet. 2013 wurden die beiden durch die Volkskongresswahl bzw. die Bundestagswahl zum Staatspräsidenten gewählt bzw. noch als Bundeskanzlerin durch Wiederwahl bestätigt. Bei diesem Besuch treffen sich also erstmals der neue chinesische Staatspräsident und die in ihrem Amt bestätigte deutsche Bundeskanzlerin.

Während Xi Jinpings Deutschlandaufenthalts haben China und Deutschland eine umfassende strategische Partnerschaft beschlossen und dies in einem gemeinsamen Kommuniqué verankert. Dabei wurden auch insgesamt zwanzig verschiedene Abkommen, Absichtserklärungen und Vereinbarungen unterschrieben. Der Schwerpunkt lag auf einer noch stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit, so gehören unter anderem VW, Daimler, Bayer, BMW, Siemens und die Alba Group zu den Unterzeichnern. Auch die Einrichtung eines chinesischen Generalkonsulats in Düsseldorf wurde vereinbart. Ebenso beschlossen Deutschland und China die Einrichtung eines Handelsplatzes für die chinesische Währung Yuan (Renminbi) in Frankfurt. Das Jahr 2015 ernannten Deutschland und China außerdem zum Jahr der Innovationskooperation.

Mit diesem erfolgreichen Deutschlandbesuch ist also ein neues Kapitel in den chinesisch-deutschen Beziehungen aufgeschlagen, das eine herrliche Perspektive verspricht, die sich sehr an "Harmonie in Vielfalt" orientiert.

Unter Harmonie ist hier zu verstehen, was Präsident Xi Jinping in F.A.Z. umrissen hatte: Beide Nationen verfügen "über viele gemeinsame Tugenden, wie zum Beispiel Fleiß und Ausdauer, Bescheidenheit und Gewissenhaftigkeit, Gründlichkeit und Tatkraft sowie Mut zur Neuerung…Für China wie für Deutschland, die beide globale Handels- und Wirtschaftsmächte sind, ist das andere Land bereits Teil der eigenen Entwicklung, sie sind füreinander unverzichtbar. Gleich ob vom Stand der industriellen Entwicklung, dem Marktumfang oder der Nachfragekonstellation her - die Volkswirtschaften Chinas und Deutschlands sind in höchstem Maß komplementär…Beide Länder sind nicht nur füreinander die größten Handelspartner in ihrer jeweiligen Region geworden, sie wurden auch die wichtigsten Zielgebiete für Investitionen und Unternehmensgründungen…Im Bereich bedeutender internationaler Fragen, wie der Wahrung des Weltfriedens und der regionalen Sicherheit, der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel, der Ernährungssicherheit und der Förderung nachhaltiger Entwicklung, bestehen zwischen beiden Ländern immer enger werdende Austauschkontakte und Kooperationen" sowie sich deckende oder sich annähernde Ansichten.

Vielfalt wird meines Erachtens hauptsächlich durch drei Dinge geprägt, nämlich unterschiedliche Gesellschaftsordnungen, Kulturen und Entwicklungsstände, aus denen wiederum unterschiedliche Interessen, Ideologien und Wertvorstellungen resultieren.

Angesichts dieser unterschiedlichen Lage bemühen sich die beiden Staaten auch bei diesem Besuch, ihre Beziehungen einerseits über einen gemeinsamen Nenner zu definieren, andererseits aber auch – wie in jeder guten Beziehung - Unterschiede gleichzeitig zu respektieren. Daraus ergeben sich wichtige Prinzipien oder sollen sich weitere wichtige Prinzipien ergeben.

1. Beide Seiten streben danach, eine gemeinsame Basis in grundsätzlichen Fragen, also Kerninteressen und bedeutsamsten Anliegen zu suchen und Differenzen bei nebensächlichen zurückzustellen (求大同,存小异), um letzten Endes auf einen Kompromiss einzugehen. "Viele Gespräche über Wirtschaft, wenige über Menschenrechte", mit dieser Überschrift ihres Berichtes hat Frau Eva Quadbeck in diesem Sinne den Nagel auf den Kopf getroffen.

2. Auch in einer strategischen Partnerschaft darf man nicht leichtfertig die Unterschiedlichkeiten und nationalen Verantwortungen der beiden Länder missachten. Die historisch über lange Zeit gewachsenen Strukturen der beiden Staaten sind alle politisch, wirtschaftlich, kulturell und sozial betrachtet hoch interdependent. Die Deutschen können keine Chinesen werden und die Chinesen können auch keine Deutschen sein. Soll die strategische Partnerschaft Bestand haben, muss man politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Unterschiede in beiden Ländern zukünftig bewusst respektieren. Wir brauchen "mehr" Harmonie für unsere Zukunft – aber auch mehr Partnerschaftspolitik, die Unterschiedlichkeiten, Dissens und Meinungsverschiedenheiten der Menschen beider Länder berücksichtigt und nutzt. Vielfalt, nicht Gleichheit ist auch die wirkliche Quelle beiderseitiger Schöpferkraft. Die strategische Partnerschaft wird vielmehr gemeinsame Vorteile nur mit den Chancen der nationalen Unterschiede erringen. Komplementarität,gegenseitiger Nutzen und Unterstützung müssen als die wahre Stärke der strategischen Partnerschaft verstanden und anerkannt werden. Dies ist wichtig in der Zeit, wo "auf Brokat zusätzlich Blumen gestickt" werden (锦上添花), insbesondere aber in der Zeit, wo der anderen Seite "bei Schneewetter Kohlen geschickt" werden(雪中送炭).

3. Mute keinem anderen zu, was dir selbst nicht behagt. Was du nicht willst, das man dir tut, das fügt auch keinem anderen zu(己所不欲勿施于人). Es ist also nicht angebracht, der anderen Seite ihre Gesellschaftsordnung, ihr System, ihre Wertvorstellungen aufzuzwingen, was der einen Seite selbst auch nicht behagen würde. China und Deutschland - jedes Land hat sein eigenes Wirtschaftswunder vollbracht - sind heute die zweit- und viertgrößte Volkswirtschaft in der Welt. Darum sprechen immer mehr Menschen voller Respekt von einem "China-Modell" und einem "Deutschland-Modell". Mit großer Genugtuung konnte man feststellen, dass beide Staaten niemals selbst damit hausieren gehen und gehen wollen, geschweige denn davon, dies der anderen Seite zu diktieren. Mein deutscher Freund Prof. Dr. Sandschneider, ein großer China-Kenner, weist darauf hin: "Man darf nicht erwarten, dass China – nur weil wir das sagen – sofort tut, was die Deutschen wollen. China verfolgt seine eigenen Interessen. Das tun andere Staaten auch." Denn was in Deutschland möglich ist, das mag in China aus politischen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Gründen, oder auch angesichts kultureller Traditionen, vielleicht so gar nicht möglich sein, auch nicht bei guter Absicht. In diesem Zusammenhang lieferte die Bundeskanzlerin einen aussagekräftigen Beweis, indem sie betonte, die deutsche Seite verstehe, mit welchen vielfältigen Herausforderungen China als ein bevölkerungsreichstes Land konfrontiert ist und sie verstehe, dass China den deutschen Maßstab nicht mechanisch anwenden darf.

4. Beide Seiten müssen das Ziel verfolgen, Vorurteile und Missverständnisse allmählich abzubauen. Auch mit Scharfsinn warnte Herr Prof. Dr. Sandschneider hier seine Landsleute:"Viel Kritik basiert auf Unkenntnis…doch am Ende braucht es einen ausgewogenen und pragmatischen Zugang. Das ist wirklich dringend notwendig, weil es für uns politisch immer wichtiger wird, mit diesem Land vernünftig umzugehen." Beim Treffen mit Xi Jinping hat z.B. Bundespräsident Gauck darauf verwiesen: "Ich bin sicher: Sie werden umso mehr Erfolg haben, wenn Sie den Weg zu mehr Wettbewerb und zu einem Rechtssystem, in dem keiner über dem Gesetz stehen soll, konsequent gehen.". Das ist genauso auch unser Slogan und Ziel. Wenn er ohne Vorbedingungen nach China kommt, wird er sich davon selbst ein Bild machen können.

5. Beide Seiten müssen Selbstvertrauen haben und sollen sich ordentlich benehmen, um auch die andere Seite von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Zwei chinesische Sprichwörter lauten: Ein tugendhafter Mensch bleibt nie allein. Er hat immer gleichgesinnte Gefährten(道不孤,必有邻). Die Pfirsich- und Pflaumenbäume stehen stumm da, unter ihnen sind jedoch Pfade (von ihren Bewunderern) ausgetreten (桃李不言,下自成蹊).

6. Strategische Partnerschaft gründen auf Verständnis, Vertrauen, Respekt und Toleranz. So müssen weitere Voraussetzungen für gegenseitiges Verständnis und Vertrauen sowie für gegenseitigen Respekt und Toleranz geschaffen werden. Dialoge auf Augenhöhe gehören dazu. Für manche Deutsche mag es noch nicht so leicht sein, Dialoge auf Augenhöhe zu führen. Durch breitere und differenzierte Informationen in den deutschen Medien erlangen die Menschen in Deutschland allerdings auch immer mehr Wissen über das Reich der Mitte und seine Bevölkerung. Deutsche Chinakenner bestätigen, dass dadurch mehr Verständnis und mehr Respekt für die chinesische Bevölkerung, deren Herangehensweisen und Motivationen erreicht werden, Respekt auch für die Herausforderungen, mit denen die chinesische Bevölkerung konfrontiert ist.

7. Heute geht die Globalisierung immer mehr in die Tiefe und Breite. Sie erzeugt jetzt aber sehr unterschiedliche Folgen,wird auch von manchen kritisiert. Diese unterschiedlichen Globalisierungsfolgen verlangen darum heute zunehmend maßgeschneiderte nationale Antworten. China und Deutschland haben eben gleiche, aber auch ungleiche Globalisierungsfolgen sowie verschiedene neu entstandene Strukturen. Harmonie kann es für sie jeweils nur unter Berücksichtigung dieser Vielfalt geben.

II. Anregungen zur wegweisenden Blaupause für bessere und schnellere Weiterentwicklung der beiderseitigen Wirtschafts- und Handelsbeziehung

In der Vergangenheit haben die chinesisch-deutschen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen reiche Früchte getragen. 2013 betrug das gesamte Handelsvolumen zwischen China und Deutschland 161,6 Mrd. US Dollar,das 580fache verglichen mit dem Jahr 1972. Derzeit haben sich über 8200 deutsche Firmen in China niedergelassen, und mehr als 2000 chinesische Unternehmen haben in Deutschland Fuß gefasst. Zugleich sehen sich China und Deutschland aber auch mit allerlei Schwierigkeiten konfrontiert.

Unterziehen wir die gegenwärtige Welt einer umfassenden Analyse, so tauchen sofort unzählige Probleme, Unruhen und Krisen auf, die meines Erachtens vor allem auf das Auseinanderklaffen der Produktivkräfte von den Produktionsverhältnissen zurückzuführen sind. Die Weltproduktivkräfte entwickeln sich rasant, während die Weltproduktionsverhältnisse weit hinten zurückbleiben, was Produktions- und Kapitalüberschüsse zur Folge hat. Darum ist eine tiefgehende Umgestaltung der Weltproduktionsverhältnisse dringend erforderlich, um ihre Übereinstimmung mit der rasanten Entwicklung der Produktivkräfte wiederherzustellen. Deswegen sind China und Deutschland als globale Handels- und Wirtschaftsmächte noch einmal gefragt, ihren aktiven Beitrag bei einer notwendigen Neugestaltung der Weltproduktionsverhältnisse und der Weltwirtschaftsordnung zu leisten.

China und Deutschland stehen beide vor der globalen, regionalen und bilateralen Kooperation. In der Weltfinanzkrise und der EU-Schuldenkrise ließ und lässt der Trend immer mehr vermuten, dass die letztere die beiden vorderen merklich überschattet. Unbestritten stellt die bilaterale Zusammenarbeit die Grundlage für die globale und regionale Kooperation dar. China und Deutschland müssen also ihre bilateralen Beziehungen um einen Schritt weiter vorantreiben, Verbindung zwischen Chinas Markt und Deutschlands Technologie, zwischen chinesischen Wachstumsraten und deutscher Qualität noch mehr intensivieren, um damit auch die globale und regionale Kooperation zu fördern. In diesem Zusammenhang schätzt China besonders die Vorreiterrolle Deutschlands in den chinesisch-europäischen Beziehungen.

Vor dem Hintergrund der Weltfinanz- und EU-Schuldenkrise ist die EU immer mehr in Protektionismus geraten und gedenkt Handelshemmnisse und Antidumping-Maßnahmen gegenüber China anzuwenden. Als Mitglied der EU muss die deutsche Handelspolitik diese Aktivitäten auch unterstützen. Aber das Blatt hat sich nun etwas gewendet. Anlässlich Xi Jinpings Deutschland- und Europabesuchs haben sich China und Deutschland sowie die EU geeinigt, gegen den Protektionismus zu kämpfen, wenn möglich, so auch anhand des Vorbilds der Beilegung des Handelsstreites um Solarprodukte.

Zur Zeit werden die Stimmen immer lauter, dass sich der Handelskonflikt zwischen China und Deutschland zwingend zuspitzen werde, weil mit den fortgeschrittenen technischen Erneuerungen, der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Erhöhung der Innovationsfähigkeit Chinas die Faktorausstattung und die Struktur der Exportpalette beider Länder immer ähnlicher werden. Dieses Argument braucht wirklich nicht widerlegt zu werden. Im Gegensatz dazu kann man das Heckscher-Ohlin-Chamberlin-Theorem zitieren, nach dem der intra-industrielle Handel mit Nachdruck unterstrichen wird, und der mit dem inter-industriellen Handel koexistieren und schneller als dieser entwickelt werden kann. Die rasante Entwicklung des intra-industriellen Handels unter den Industrieländern ist schon sehr überzeugend. Pessimismus ist also hier nicht am Platz.

Deutschland kritisiert den Mangel an Schutz geistigen Eigentums sowie die teilweise fehlende Möglichkeit, Verletzungen vor Gericht wirklich durchzusetzen. Als ein Entwicklungsland bekennt sich China zu seiner Unzulänglichkeit in diesem Bereich, ehrlich gesagt, es ist wirklich eine unumgängliche Station, die auch Deutschland in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts zu durchlaufen hatte. Es ist aber allgemein bekannt, dass es China gelungen ist, bis heute eine ganze Menge von Gesetzen zum Schutz von Patenten, Marken, Urheberrechten und speziellen Nutzungsrechten zu verabschieden. Dies hat zur wesentlichen Verbesserung beim IPR-Schutz beigetragen, weil die unzureichende rechtliche Durchsetzung der geistigen Eigentumsrechte, die Verletzung vom geistigen Eigentum und die Illoyalität der chinesischen Wirtschaft auch ernsthaft schaden. Ich bin fest der Überzeugung, dass der chinesisch-deutsche Technologietransfer sicherlich durch vertrauensbildende Maßnahmen, gegenseitiges Verständnis, durch neue Gesetzgebungen und Verbesserung der Rahmenbedingungen von Seite Chinas beflügelt werden kann, aber immer noch unter Vorbehalt des Transfers der modernen Technologien gemäß des Wassenaar-Abkommens.

Die chinesisch-deutschen Beziehungen können auf eine sehr lange und positive Geschichte zurückblicken. Mögen sie sich besser und schneller weiterentwickeln wie der Yangtse und der Rhein.

(Quelle: german.china.org.cn)